Bisher sind die Tara Rokpa-Gruppen ganz gut über die erste Corona-Welle gekommen. Wir haben uns auch Mühe gegeben: Seit April 2020 haben wir unsere Gruppen online unterstützt, mit Wochenenden, Gruppenabenden und Übungsanleitungen über Zoom, sogar einem Online-Sommercamp. Das hat alles viel besser funktioniert als zunächst erwartet.
Dennoch fehlt natürlich allen das persönliche Zusammensein und der ungezwungene Austausch. Und es wurde klar, dass Gruppen, deren gemeinsames Leben nur aus WhatsApp-Nachrichten oder Zoom besteht, brüchiger werden. Immer mehr Menschen bringen das Leben in der Virtualität nicht mehr, schalten ab, lesen die Flut der Emails nicht mehr richtig, oder verweigern sich dem ewigen Zoomen.
Nach den geringen Infektionszahlen im Sommer haben sich seit September einige Tara Rokpa-Gruppen mit kleinerer Teilnehmerzahl wieder persönlich getroffen. Gemeinsam haben wir Möglichkeiten gefunden, unsere Arbeit auch mit Abstand und Schutz intensiv und inspirierend zu machen.
Dabei wurde deutlich, wie notwendig es für viele war, sich mal wieder persönlich zu sehen und zu sprechen, informelle Nebengespräche führen zu können. Das Aufatmen war körperlich zu spüren. Und die Kontakte untereinander, das Gruppengefühl intensivierten sich wieder. Echte Kontakte beleben und stärken die Verbindungen – selbst wenn sie seltener, kürzer oder unter eingeschränkten Bedingungen stattfinden.
Bei einem Online-Treffen der internationalen Tara Rokpa-TherapeutInnen im Sept. 2020 haben wir daher beschlossen, dass zwar selbstverständlich zur Zeit keine größeren Veranstaltungen stattfinden können, aber Präsenz-Treffen von kleineren Gruppen je nach lokalen Verhältnissen der Entscheidung der Teilnehmenden und Anleitenden überlassen bleiben.
Die aktuelle Situation
Seither steigen die Fallzahlen überall wieder, die zweite Welle ist da und nicht im Griff. Es wird kontrovers diskutiert, welche Massnahmen helfen. Dass in Deutschland auch auf Länder- und Bundes-Ebene keine Einigkeit herrscht (Stand 18.10.20), zeigt auch, wie schwer dies einzuschätzen ist.
Politiker – wie auch wir als Veranstalter – sind gerade „umzingelt von Zielwertkonflikten“ (R. Pausch, DIE ZEIT Nr. 42/2020).
Natürlich möchte niemand mit seinen Veranstaltungen zur Infektionsverbreitung beitragen, mit allen Risiken für Gesundheit und Leben anderer. Andererseits scheint inzwischen klar, dass wir als Gesellschaft diese Pandemie nicht durch komplette Kontaktvermeidung aussitzen können. Dies haben in den letzten Wochen in fast gleichlautenden Aussagen mehrere Epidemiologen und Virologen festgestellt (siehe z.B. Drosten, Streeck, Sridhar). Dazu würde die Krise zu lang dauern. Wir müssten zu einer Art von Normalität in der Krise finden, einer „Achtsamen Normalität“ (Streeck).
Wie kann „eine Art von Normalität“ bei gleichzeitiger Risiko-Minimierung für Tara Rokpa aussehen?
Es kommt auf die praktische Umsetzung an.
Wenn wir Präsenzwochenenden machen können – wenn dies erlaubt und vorstellbar ist – dann unter den bekannten Bedingungen:
- Kleine Gruppen
- große Räume mit guter Lüftung
- Masken tragen, vor allem wenn nicht am Platz
- Verkürzung der Gruppenzeiten
- evtl.: Vermeidung der Teilnahme von Menschen aus Regionen mit hohen Fallzahlen
Aktuelle Corona-Tests wären eine weitere Unterstützung – aber sie überlasten die Kapazitäten der Labors zu stark und sind daher im Moment noch keine Möglichkeit.
Wird das alles reichen? Wir wissen es nicht.
Ein voller Lockdown in den nächsten Monaten ist keineswegs unwahrscheinlich.
Selbstverständlich werden wir uns mit unseren Veranstaltungen an die jeweils gültigen Regeln und Verbote halten.
Die Mischung machts
Freundschaften lebendig zu halten ist manchmal schon unter normalen Bedingungen nicht einfach. Ein kluger Ratschlag ist es, verschiedene Medien und Kontaktmöglichkeiten abzuwechseln bzw. zu mischen – die sogenannte Multiplexität.
Wenn echte Kontakte möglich und erlaubt sind – dann sollten wir sie nutzen, in einer klugen und überlegten Mischung. Wir brauchen nicht unvernünftig stundenlang eng zusammensitzen – aber sollten uns vielleicht auch besser nicht ganz einigeln und nur noch warten, bis es vorbei ist. Vielleicht gehen gemeinsame Spaziergängen im Freien mit Abstand, kürzere Treffen mit weniger Risiko…
Wir sollten die echten Kontakte klug dosieren, und sie mischen mit Zoom, Telefon, Email, SMS, WhatsApp, Postkarten und Briefen (!) – was auch immer!
Das Mischen und Abwechseln verschiedener Kontaktmöglichkeiten hilft uns, unsere Freundschaften lebendig zu halten.
Und die Hoffnung zu erhalten, im Wissen darum, dass alles vergänglich ist – selbst die Krise.
Ulrich Küstner, 18.10.2020