Carol Sagar im Tara-Rokpa-Magazin Nr. 13/2019
Übersetzung aus dem Englischen von Petra Niehaus
Zur Geschichte
1966 hatte ich das große Glück, an einem Kurs teilzunehmen, der von dem tibetischen Meditationsmeister Chögyam Trungpa (1939 – 1987) geleitetet wurde. Irgendwie geschah es, dass Trungpa an den meisten Nachmittagen mit mir in meinem Zimmer malte. Zu jener Zeit war ich in einer fortlaufenden jungianischen Therapie, die das Malen einbezog, und ich hatte meine Kunstmaterialien dabei. Später erkannte ich, dass mit Trungpa gemalt zu haben, eigentlich eine Kunsttherapie-Erfahrung war.
Für meine Gesundheit fuhr ich, dem Rat Trungpas folgend, 1971 zum ersten Mal nach Samyé Ling, um dort Akong Rinpoche, der auch als tibetischer Arzt ausgebildet war, aufzusuchen. Von da an nützte Akong Rinpoche meine Bilder, um mich zu beraten. Er vermittelte mir zudem Atem-, Meditations- und Massageübungen. So oft es ging, hielt ich mich in Samyé Ling auf, um von Akong Rinpoche zu lernen. Ich brachte ihm meine Bilder, um von seinem Rat und seinen Kommentaren zu profitieren.
Während der 80er Jahre entwickelten Akong Rinpoche und Edie Irwin das, was zur Tara Rokpa Therapie wurde. Sie arbeiteten in Schottland, in Irland und in Südafrika und führten die Übungen ein.
Meine Kunsttherapie-Ausbildung
fand zwischen 1982-1984 an der London University statt. Während dieser Zeit suchte ich wegen meiner Gesundheit weiterhin Akong Rinpoches Rat und entwickelte dabei auch ein tieferes Verständnis für seine Herangehensweise an Kunsttherapie. Dies war eine Phase intensiven persönlichen Wachstums.
Die Kunsttherapie-Ausbildung an der Universität umfasste intensives Lernen über die frühkindliche Entwicklung von Geburt an, die Bedeutsamkeit visueller, taktiler, auditiver und aller anderen Kommunikationsebenen sowie ihrer Resonanz in der weiteren Entwicklung.
Der Kurs beinhaltete nicht nur ein Literaturstudium, um die psychologische – emotionale – physische Entwicklung zu verstehen, sondern auch viel erfahrungsorientierte Kunstarbeit und Praxis mit Klienten, die in verschiedenen Krankenhäusern, Sonderschulen und Kliniken untergebracht waren. Gruppenarbeit auf dem Sommercamp mit dem Thema „Heldenreise“, eine Kunst-Übung, die Carol immer wieder gerne und voller Freude anleitete.
Zurück zu den Anfängen-Teilnehmer können die Relevanz des oben Beschriebenen erkennen. Das Universitätsstudium blieb aus vielen verschiedenen Perspektiven für das, was ich in die Tara Rokpa Therapie einbrachte, bedeutungsvoll. Das Studium dominierte meine Herangehensweise nicht, für mich gab es nie einen Konflikt oder Unstimmigkeit zwischen dem Training durch Akong Rinpoche und den westlichen Lehren im Studium.
1982 finanzierte das College einen zweiwöchigen Aufenthalt in Samyé Ling, um Ideen für meine Abschlussarbeit zu entwickeln. „Kunsttherapie aus der Sicht des tibetischen Buddhismus“, ein übertrieben ambitionierter Titel – war es doch unmöglich, mit mehr zu arbeiten als meiner begrenzten Erfahrung und meinem begrenzten Verständnis. In Samyé Ling beriet mich Akong Rinpoche, diskutierte mit mir über meine Fragen, gab mir Übungen und ermutigte mich in meinem Unterfangen.
Auch wenn ich keinerlei Widerspruch zwischen dem Studium und dem Training durch Akong Rinpoche sah, beide ergänzten sich, so hatten seine Kommentare und sein Rat doch eine andere Qualität; diese bringe ich mit seinen Lehren in Verbindung, mit der Sichtweise, dass Erfahrungen nicht so solide sind, wie sie uns erscheinen.
Arbeit mit Gruppen
Akong Rinpoche ermutigte uns, bei der Vorbereitung für eine Gruppe einen Plan oder ein Programm zu erstellen. Gleichzeitig betonte er die Notwendigkeit der Flexibilität, sich dem Prozess und dem, was die Gruppe brauchte, anzupassen. Übungen konnten verändert werden, wenn man das Gefühl hatte, dass es für die Gruppe am besten wäre. Der Gruppenprozess ist interaktiv und beeinflusst, wie die Kunstarbeit präsentiert wird, wie sie sich entwickelt. Was aus ihr entsteht und welche Diskussionen, Überlegungen und Antworten auftauchen, lässt neue Ideen zur weiteren Erkundung entstehen, die die Arbeit voranbringen. Auf diese Weise werden Übungen weder aufgedrängt noch verordnet – ein interaktives Reagieren, Wahrnehmen, Entwickeln geschieht einfach. In meinem Geist entstehen neue Übungen, während ich sehe, wie sich die Arbeit im Raum entfaltet Farbe und Form – während ich höre, welchen Bezug die TeilnehmerInnen zu ihr herstellen. Die Entwicklung der Kunstarbeit kann von dem abhängen, was die Gruppen-TeilnehmerInnen sich gegenseitig zeigen, wie es um ihre kreative Ansprechbarkeit steht – und um die des Therapeuten. Das ist ein dynamischer Prozess.
Sicherer Raum
Basis für die Wirksamkeit der Gruppe ist das Gefühl eines geschützten Raums, in dem sich die Kunstarbeit sicher entfalten kann. Akong Rinpoche war ein Meister im Schaffen sicheren Raums. Es fühlte sich an, als wäre dies ein Teil von ihm, diese geerdete, in Erde gegründete Qualität, die ein Gefühl für beides vermittelte: Geräumigkeit und den sicher gehaltenen Raum. Für ein Unterfangen wie Kunsttherapie, in dem die Arbeit einen Zugang zum Unbewussten beinhaltet, sind Sicherheit in der Gruppe und Raum höchstes Gebot. Ohne diese können TeilnehmerInnen nicht den vollen Nutzen aus dem Angebotenen ziehen. Der von den Therapeuten sicher gehaltene Raum ist wesentlich für die Entspannung von Körper und Geist. Von hier aus kann man sich für das öffnen, was man nicht weiß. Ohne ein Gefühl von Sicherheit könnte aufsteigende Angst die Offenheit des Geistes behindern und das freie Gefühl aus der Körperentspannung schmälern. Im sicheren Raum wird es möglich, mit dem, was in uns aufsteigt, umzugehen.
Wenn Akong Rinpoche Bilder betrachtete
1991 wurde Akong Rinpoche vom Norwich Mental Health Trust für drei Tage eingeladen, um dort Vorträge zu halten. Eine Sitzung war für die angestellten Kunst- und Psychotherapeuten. Die Kunsttherapeuten waren darum gebeten worden, Kunstwerke ihrer Patienten mitzubringen und sie Akong Rinpoche zu zeigen und um Kommentare zu bitten, seine Reflektionen. Diese führten zu Fragen und Diskussionen über sein Verständnis von Kunsttherapie. Das war eine seltene Gelegenheit für uns, ihm zuzuhören und unser Bewusstsein und die Interpretationsmöglichkeiten von Bildern auszuweiten.
Akong Rinpoche achtete auf Balance. Er nahm wahr, wo es in der Verwendung des Raums, im Gebrauch der Farben und Formen und vielleicht in dem, was das Bild darstellte, an Gleichgewicht mangelte. Er machte Vorschläge, wie man die Kunstarbeit dazu nutzen konnte, um mehr Balance herzustellen.
So war beispielsweise in einem Bild, das auf die Offenheitsübung (auch bekannt als „Das goldene Licht des universellen Mitgefühls“) bezogen war, das Bild des Tores, das einen wesentlichen Teil der Visualisation ausmacht, geschlossen. Akong Rinpoche entnahm diesem und anderen Bildern derselben Teilnehmerin die Tendenz, sich auszuschließen, sich zu verschließen anstatt sich der Freiheit des Geistes zu öffnen. Er machte ihr den Vorschlag, Menschen zu malen, die etwas zusammen machen. Sie tat das monatelang und von Zeit zu Zeit wurden Akong Rinpoche diese Bilder gezeigt. Er schlug ihr vor, weitere Bilder zu malen, in denen Menschen beteiligt sind, die miteinander spielen, sich gegenseitig helfen usw.
Das Malen hatte zur Folge, dass die Teilnehmerin offener wurde und sich weniger von den anderen absonderte. Es brachte mehr Kommunikation und Verbindung in ihr Alltagsleben, verwandelte das Gefühl von Trennung und Isolation.
Akong Rinpoche arbeitete hauptsächlich so. Keine langen Diskussionen sondern Übungen, die zu mehr Offenheit und einer größeren Ausgewogenheit von Geist und Körper führten. Auch wenn er ab und zu etwas interpretierte, gab er doch eher den Rat: „Mach mit dem Malen weiter“ und schlug Übungen vor, die den Prozess der Einzelnen voranbrachten.
Ich habe immer mehr verstanden, welche Vorschläge für den Wachstumsprozess der TeilnehmerInnen, der ja bereits seine eigene Schwungkraft hat, angemessen sind – ein Prozess, der zudem die Beziehung zur Kunstarbeit erweitern kann. Es ist hilfreicher, darauf zu warten, dass jemand zu seinen eigenen Einsichten findet, als eventuell falsch zu interpretieren oder ihm zuvorzukommen. Verständnis braucht Zeit, um von selbst zu Tage zu treten.
Zum Abschluss
Es war ein großes Privileg, von Akong Rinpoche zu lernen und zu sehen, wie er arbeitete.
Auf den Sommercamps stand er uns allen ganz einfach zur Verfügung. Er ist der Kopf der Tara Rokpa Familie. Er bot ein Beispiel, dem man auf vielerlei Weise folgen und an dem man wachsen konnte.
Kunsttherapie im Rahmen von Tara Rokpa bietet zahllose Wege, um von Einzelnen und Gruppen erkundet zu werden. Ich glaube, Akong Rinpoches Rat wäre: „Macht weiter mit der Erforschung der Kunstarbeit“, auf dass wir wachsen, uns auf schöpferische Weise vertiefen, unser Potenzial erfahren und entdecken.
[Beitragsbild: Bea Nothnagel]