Zu den Entspannungsübungen

Das Rote Licht

Einführung von Marga Spinner

in der Online-Veranstaltungsreihe „Tara Rokpa kennenlernen“, 11. Feb. 2021

Warum Entspannen?

Meistens fühlen wir uns entspannt, wenn wir glücklich sind, und wir fühlen uns glücklich, wenn wir uns entspannen. Warum schaffen wir uns dann nicht mehr Möglichkeiten, uns zu entspannen?  Mich selbst hindern in der Regel meine  Gewohnheiten, z.Bsp.: die Gewohnheit, viele Termine zu machen und mich dann abzuhetzen,  die Tendenz mir Sorgen zu machen, meine Vermeidungsstrategien nämlich noch schnell dies und das zu erledigen usw … vielleicht geht es euch ähnlich?

Vielleicht taucht auch ein Gedanke auf wie: ‚Ich bin ein hoffnungsloser Fall, ich werde es nie schaffen, meine Themen zu klären‘. Lama Thubten Yeshe schreibt dazu: „So eine Haltung ist lächerlich. Damit entwerten wir unser menschliches Potential.“[1] Als menschliche Wesen haben wir das Recht und die Fähigkeit, unsere Verhaltens- und Denkmuster zu ändern. Wir haben die Erlaubnis und dürfen uns selbst die Erlaubnis geben, uns zu entspannen und glücklich zu sein.

Zu Beginn müssen wir uns dafür Raum schaffen, wir dürfen uns Gelegenheit bieten, um uns selber diese Zustände von Entspannung und Glück zu schaffen. Am Anfang erfordert das vielleicht etwas Arbeit und deshalb ist Hilfe von außen zu Beginn oft hilfreich. Das ist der Zweck dieser  Stunde.

Entspannugnsübungen zielen auch darauf ab, die Belastungen und Spannungen, die das Leben mit sich bringt, auszugleichen und Anregungen zu geben, wie wir Stress vorbeugen können.

Akong Rinpoche sagt, ein entspannter Geist könne ’seine ursprüngliche Vollkommenheit erinnern‘.

Wie ist das möglich? Mittlerweile belegen zahlreiche Ergebnisse aus der Gehirnforschung, daß Entspannung unser Bewußtsein verändert. Die Gehirnforschung hat nachgewiesen, daß verschiedene Bewußtseinszustände mit unterschiedlichen Gehirnaktivitäten oder Gehirnwellen einhergehen. Wenn wir äußerlich aktiv sind, dann befindet sich unser Gehirn im Zustand der beta Aktivität.  Während einer Entspannung stellt sich Alpha Aktivität ein. Sie geht einher mit Muskelentspannung, verlangsamter Atmung, Blutdrucksenkung und verlangsamtem Herzrhythmus.Vertieft sich unsere Entspannung, dann haben wir vermehrt  Zugang zu unserer inneren Welt, unserm Unbewußten (Theta 4-8 Hertz/Sek).[2]  In diesem Fall kann uns die Naturwissenschaft helfen, sie kann vielleicht unsere Motivation erhöhen und uns neugierig machen auf das, was in uns verborgen ist.

Erfahrungen

Je mehr Wissen wir über uns selbst erlangen, je mehr wir in der Lage sind, bei uns zu sein und mit uns selber entspannt zu sein, desto mehr sind wir in der Lage unseren, Geist zu beobachten, anstatt von ihm überwältigt zu werden, desto mehr Mitgefühl können wir uns selbst und letztlich auch anderen gegenüber entwickeln. So kann uns Entspannung sehr wirksam darin unterstützen ‚herauszufinden, wer wir wirklich sind und den mittleren Weg jenseits aller Extreme zu gehen‘[3] – und zwar nicht nur innerlich, sondern auch rein praktisch. Entspannung hilft uns nämlich, die Fähigkeit zu entwickeln, nicht auf jeden Reiz sofort reagieren zu müssen. Angenommen, wir können uns während einer Entspannungsübung nicht gut entspannen, dann ist es nicht sehr hilfreich, aufzuspringen und schnell im Smartfon nach Nachrichten zu schauen, um uns abzulenken. Ent-Spannen kann uns helfen, unsere inneren und äußeren Erfahrungen in einem leichten Fluß kommen und gehen zu lassen. Dann brauchen wir nach einer Sitzung weder zu Tode betrübt sein noch himmelhoch zu jauchzen. Hindernisse, die eine Entspannung häufig erschweren, sind oft unsere Strenge uns selbst gegenüber und unsere Erwartungen.

Viele Menschen haben das Gefühl: ‚jetzt muß ich mich entspannen!‘ Wenn sie dann keine Ruhe finden, dann geraten sie in Panik. Wenn wir uns entspannen wollen, ist es hilfreich, nicht streng oder hart oder heftig zu regieren. Selbst wenn es uns nicht gelingt, uns zu entspannen, ist es hilfreich, alles zu beobachten und anzunehmen was geschieht. Es ist völlig natürlich, daß ein Teil unseres Geistes, nämlich unsere dominante Gehirnhälfte, sofort in Aktion tritt, wenn wir es uns gerade zur Entspannung bequem gemacht haben. Dieser Teil unseres Bewußtseins nutzt den äußerlichen Ruhezustand und bombardiert uns oft mit Einflüsterungen wie: „Du solltest doch x anrufen, an y eine Email schicken, Brot einkaufen, ist das Bügeleisen ausgeschaltet, was machst du denn da für einen Quatsch? Das bringt doch alles sowieso nichts, wann ist das denn endlich vorbei?, ich hab‘ solchen Hunger, was könnte ich denn zu Abendessen essen?“ Wenn unser geschwätziger Geist sich so zu Wort meldet, wenn sich Panik, Widerstand oder Erwartungen breit machen, dann ist es gut zu beobachten, was auftaucht und zu sagen: „aha da bist du, vielen Dank für deine Mitteilungen“. Diesen Teil in uns anzuerkennen, ihn verständnisvoll an der Hand zu nehmen oder sogar in den Arm, und wieder zur Entspannung zurückzukehren. Wenn wir mit Entspannungsübungen noch nicht sehr erfahren sind, dann ist es auch hilfreich, den Atem als Anker zu benutzen. Wir können immer unsere Aufmerksamkeit auf den Atem richten, wenn unser geschwätziger Geist über uns herfällt, wenn wir versuchen, uns zu entspannen. Auch –  falls während einer Entspannungsübung Ängste auftauchen – kann die Atmung uns helfen, unseren ungestümen Geist zu erden

Auf diese Art verurteilen wir die unsteten Anteile in uns nicht, wir geben ihnen Existenzberechtigung und dadurch die Erlaubnis, sich auch wieder zu verabschieden.

Dieser Prozess fördert unsere Präsenz und unsere Achtsamkeit in jedem Augenblick. Er unterstützt uns darin, Mitgefühl gegenüber uns selbst zu entwickeln – so wie wir jetzt in diesem Moment sind. Dabei sind weniger unsere Erfahrungen Ziel unseres Prozesses als vielmehr die Entwicklung (Akong spricht von Reifung) unseres Geistes.

Ein entspannter Geist kann das Fundament werden, auf dem unsere Geist mehr Beständigkeit entwickeln kann, reifen kann.

 

Als Entspannungsübungen werden in diesem Zusammenhang nicht nur Übungen zur körperlichen Entspannung bezeichnet, sondern auch Visualisierungsübungen.  Viele dieser Übungen wurden von Akong Rinpoche entwickelt und weitergegeben. Ein Teil der Visualisierungsübungen wurde in dem  Buch ‚Den Tiger Zähmen‘ (im Buchhandel erhältlich) zusammengestellt.

Vielleicht fragt ihr euch: Warum Visualisierungsübungen? Der Tatsache, daß auch Visualiserungsübungen als Entspannungsübungen verstanden werden, liegt die tibetische, medizinische Tradition zugrunde. Diese Tradition hat ein ganzheitliches Konzept zur Grundlage. Es geht davon aus, daß Körper und Geist sich wechselseitig beeinflussen. Das bedeutet praktisch, daß sich unser Körper entspannt, wenn wir unseren Geist entspannen und umgekehrt.

Da nach dieser Tradition der Geist also den Körper beeinflussen kann ist es naheliegend, die Fähigkeiten des eigenen Geistes zur Beeinflussung des Körpers einzusetzen.

 

„Die eigene Vorstellungskraft zu nutzen ist vielleicht die älteste Heilmethode der Welt“[4]. Jeder Gedanke ruft ein inneres Bild hervor. Wenn wir etwas sagen oder hören, erschaffen wir ein inneres Bild: z. Bsp.: Sonnenblume, Zipfelmütze, Urlaub. Ob eine Freundin uns herzerfrischend anlacht oder ein Radiologe mit besorgtem Gesichtsausdruck eröffnet, der Patient habe einen bösartigen Tumor, in jedem Fall werden intensive Vorstellungsbilder im Betroffenen hervorgerufen. Es ist mittlerweile vielfach gezeigt worden, daß diese Vorstellungen wesentliche Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf haben. Imaginationen oder Visualisationen werden bei Tara Rokpa demnach nicht nur als ein automatisches Nebenprodukt unsere Gedankenaktivität beobachtet, sondern auch ganz gezielt eingesetzt. Indem wir willentlich heilende Bilder vor unserem inneren Auge entstehen lassen, können wir die Bereitschaft für positive Veränderungen in unserem Körper, unserer Gefühlswelt und unserem Geist erhöhen.

Wichtig ist dabei unsere Intention und unsere Motivation, unserem Körper und Geist etwas Gutes zu tun, sie günstig zu beeinflussen. Und unser eigener Zustand ist nicht isoliert, sondern er hat auch immer Auswirkungen auf unsere engere und weitere Umgebung.

 

[1] Lama Yeshe, Lama Zopa: Heilung, S.88,, Diamant Verlag

[2] Losanov 1986, Andritzky 1992, Tom Kenyon

[3] Den Tiger Zähmen, Seite 137

[4] Hönes, Waltraud: Imagination – den Inneren Heiler erwecken, in Heilung S.13