Vortrag: Gemeinschaft

Tara Rokpa als Gemeinschaft

Online-Vortrag von Petra Niehaus

in der Reihe „Tara Rokpa kennenlernen“, 4. März 2021

 

Die Gruppe ist in Tara Rokpa nicht nur ein äußerer Rahmen, sondern Teil der Wirksamkeit der Methode. Die Gruppen sollten jedoch nicht als eine Art Psychotherapiegruppe verstanden werden. Es geht nicht darum, die anderen zu verändern, ihre Motivation zu hinterfragen oder sie mit Widersprüchen zu konfrontieren. Es geht darum, dass alle Beteiligten Unterstützung für ihren eigenen Prozess bekommen können. Die Anwendung der Methoden und Übungen soll so leicht wie möglich fallen, Hindernisse und Ablenkungen gibt es im Alltag genug.  (U. Küstner: Wege zu Freiheit und Mitgefühl, S.56/57)

 

Man muss nicht so gruppen- und gemeinschaftsbegeistert sein wie ich, um Teil von Tara Rokpa zu sein. Das gleich vorweg. Man muss auch keine Aufgaben in Gruppen übernehmen, wenn man das nicht möchte. Man kann einer Gruppe recht neutral gegenüberstehen, sich am Rand halten. Die meiste Arbeit im Tara Rokpa Prozess wird alleine zuhause geleistet – auf der Grundlage dessen, was man in der Gruppe lernt und übt, einer Gruppe/Gemeinschaft, zu der man dazu gehört.

Zufällig stolperte ich bei der Vorbereitung auf diesen Abend über einen Artikel in PSYCHOLOGIE HEUTE (2/2019): „Die Medizin der Gemeinschaft“ (von Susie Reinhardt). In diesem Artikel wird eine Forschungsarbeit referiert zur Frage:

Was hat den größten Einfluss auf die Lebenserwartung?

Wenn Ihr mögt, könnt Ihr kurz überlegen, was Ihr dazu meint…

Rangfolge von elf vorgegebenen Faktoren

Nach eigener Einschätzung Ergebnisse der Forschung
1. Nicht rauchen
2. Körperlich aktiv sein
3. Nicht übergewichtig sein
4. Sport treiben
5. Aufhören zu rauchen
6. Wenig Alkohol
7. Medikamente
8. Saubere Luft
9. Eingebundensein in die Gemeinschaft
10. Grippeimpfung
11. Unterstützung durch andere
1. Unterstützung durch andere
2. Eingebundensein in die Gemeinschaft
3. Nicht rauchen
4. Aufhören zu rauchen
5. Wenig Alkohol
6. Grippeimpfung
7. Sport treiben
8. Körperlich aktiv sein
9. Nicht übergewichtig sein
10. Medikamente
11. Saubere Luft

Quelle: C. Haslam, J. Jetten u.a.: The new psychology of health: Unlocking the social cure. Routledge, Abingdon 2018

Gemeinschaften tragen also maßgeblich zu unserem Wohlbefinden und zu unserer Gesundheit bei, und wir selbst schätzen ihren heilsamen und gesundheitsfördernden Aspekt für gewöhnlich viel zu niedrig ein. 

Ich zitiere weiter aus dem Artikel von Susie Reinhardt:

„Denn Gemeinschaften, in denen wir uns wohlfühlen, halten grundsätzlich ein Kraftdepot bereit, das uns belastbarer und widerstandsfähiger macht. Es sollten allerdings drei psychologische Voraussetzungen erfüllt sein, damit wir die Kraftquellen einer Gruppe nutzen können.

Erstens: Diese Gruppen müssen uns wichtig sein. Es reicht nicht, irgendeinem Klub beizutreten, es muss eine Gemeinschaft sein, die uns ans Herz wächst, deren Tun uns etwas bedeutet, mit der wir uns identifizieren. Wenn wir uns und die anderen nur als eine Ansammlung von Individualisten betrachten, entsteht kein Wir-Gefühl. Damit eine bedeutungsvolle, sinnstiftende Gemeinschaft entsteht, ist es wichtig, dass die Einzelnen sich als Teil dieses Ganzen erleben.

Zweitens sollte das Verhalten innerhalb der Gruppe uns körperlich guttun, statt uns zu schaden. Schließen wir uns einem Stammtisch an, dessen Hauptbeschäftigung das Biertrinken ist, oder einem Kaffeekränzchen, bei dem ständig fette Torten verzehrt werden, wird sich das Gesundheitsversprechen eher nicht erfüllen.

Und drittens sollten die Gruppen, denen wir angehören, untereinander kompatibel sein. Das heißt, ihre Ziele und Werte sollten sich nicht widersprechen. Die Mitgliedschaft in einem Fanclub spritfressender Sportwagen verträgt sich schwerlich mit dem Engagement bei Ökoaktivisten.“ 

Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen

Langes Leben durch Gemeinschaft in Sardinien (Bild: www.bluezones.com)

Dass Menschen sich in Gruppen zusammenfinden, ist normal, ob in Sport, Musik, Tanz, Politik, Spiel, Therapie, Meditation etc. Der Mensch ist ein soziales Wesen. Bereits mit unserer Geburt werden wir Teil einer Gemeinschaft, die uns aufnimmt, umsorgt und prägt, in der wir wir selbst werden und uns anpassen, dazugehören. Im Laufe der Zeit werden wir Mitglied vieler Gemeinschaften: Klassengemeinschaften, Vereine, Mietergemeinschaft oder Eigentümergemeinschaft – je nachdem.  Dabei fühlen wir uns einer Gemeinschaft besonders zugehörig und verbunden, wenn wir ein Wir-Gefühl empfinden. Was in der Soziologie auch als „Kohäsion“ bezeichnet wird, beschreibt letztendlich nicht nur die Bindungen der einzelnen Mitglieder einer Gruppe untereinander, sondern auch den Zusammenhalt einer Gemeinschaft oder Gruppe oder eines Teams.

Kohäsion – Zusammenhalt – vielleicht erinnern wir uns an die Fünf Elemente, die Claudia Wellnitz in ihrem Vortrag vorstellte? Ihr Titel war: „Inneres und äußeres Gleichgewicht – Elemente-Arbeit und Ökologie“. Sie sprach über die fünf Elemente Erde, Wasser, Feuer Luft und Raum, und dass es das Wasserelement ist, was den Zusammenhalt, das Zusammenfließen, das Vertrauen, die Verbundenheit – die Kohäsion – ermöglicht. In der Natur und damit in uns und eben auch in Gemeinschaft.

Um eine Gemeinschaft zu bilden, braucht es also das Wasserelement.

Soziale Identität

Ich gehöre gerne zu einer Gemeinschaft dazu. Ich selbst bin ein Gruppenmensch, blühe erst im Kreis Gleichgesinnter richtig auf. Für mich sind Gruppen bereichernd und immer wieder neu herausfordernd.

Generell ermöglichen Gruppen und Gemeinschaften eine soziale Identität. Susie Reinhardt schreibt: „Die Ressourcen, die Teams, Klubs und Kreise für uns bereitstellen, sind mannigfaltig. Es wirkt allein schon stärkend, wenn wir uns einer Gruppe zuordnen. Sozialforscher sprechen von einer „sozialen Identität“. Sie wird bestimmt durch die bewusste Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe und ist ein wichtiger Teil unseres Selbstkonzeptes. Anders ausgedrückt: Die soziale Identität ist nicht nur unser abstraktes individuelles Wissen, einer oder mehreren sozialen Gemeinschaften anzugehören, sondern sie ist auch die psychische Verinnerlichung und emotionale Grundierung dieser Gruppenzugehörigkeit. Sie bezieht sich auf einen Kreis von Personen und ermöglicht uns, uns einzuordnen.

„Wir nutzen diese Gruppenzugehörigkeiten oft, um uns selbst zu beschreiben, wenn wir Leute kennenlernen: Ich bin Mutter, Psychologin, Fußballspielerin, Australierin“, erläutert Jolanda Jetten, Psychologieprofessorin an der Universität von Queensland und Mitwirkende des social cure-Forschungsteams, welches die oben zitierte Untersuchung durchführte.

Diese soziale Identität ist etwas anderes als unsere persönliche Identität. Letztere bezieht sich auf unser Wissen um unsere Individualität: unsere einmalige körperliche Erscheinung, unsere bestimmten persönlichen Talente und Vorlieben.“ (…) Gruppen sind „(…) sind oft mehr als die Summe der einzelnen Mitglieder“, sagt Jolanda Jetten:

„In Gruppen können sich gemeinsame Ideen, Überzeugungen und Verhaltensmuster entwickeln. Es kann sogar eine gemeinsame Sicht auf die Welt entstehen. (…) Als Mitglied einer gut funktionierenden Gruppe profitieren wir auf vielerlei Weise: Wir sehen, dass wir anderen ähnlich sind, vergleichbare Ziele haben, mit ihnen an einem Strang ziehen. Wir fühlen uns dann gut aufgehoben in der Welt. Solche Gruppen geben uns ein Zuhause, Sicherheit und Geborgenheit über das Gefühl, dazuzugehören. Darüber hinaus können wir dort in der Regel tatkräftige und emotionale Unterstützung erwarten. Und Gruppen bewirken in der Psyche noch etwas anderes, sehr Fundamentales: Das Zusammensein mit Seelenverwandten, die ähnliche Interessen, Vorlieben und Hobbys haben wie wir und die vielleicht auch unsere Utopien teilen, wirkt sinnstiftend. Diese Erfahrung beugt innerer Leere vor, indem sie unseren „Kohärenzsinn“ stärkt, also das Grundgefühl, dass sich in unserem Leben alles zu einem guten Ganzen fügt.“

 

Die Fünf Elemente in einer Gemeinschaft

Lege ich all meine zum Teil auch sehr spannenden Gruppenerfahrungen nebeneinander, so sticht Tara Rokpa heraus.

Gehen wir dazu kurz noch einmal zu den Fünf Elementen zurück. Alles im Universum ist aus den Fünf Elementen gemacht – so auch wir. Sind die Elemente in Balance, fühlen wir uns wohl, geht es einem Ökosystem gut und – einer Gemeinschaft.

Erde in uns und auf der Erde ist das Feste, Beständige. Erdboden, Steine, Berge, Mutter Erde. Erde ist Struktur – und natürlich gibt es auch in der Tara Rokpa Gemeinschaft Strukturen, einen stufenförmigen Aufbau – dazu später mehr -, eine Tradition, einen stabilen, zuverlässigen Boden. Und es gibt die Massage, ein elementarer Teil des Zusammenseins, der berücksichtigt, dass wir körperliche Wesen sind.

Wasser in uns und auf der Erde ist das Feuchte, Fließende, das, was Zusammenhalt ermöglicht. Wasser sind die Flüsse, Seen, Meere… In uns ist es zudem der Fluss der Gefühle, der immer wieder Neues und manchmal auch Unbekanntes und Irritierendes in uns hochspült. Bei Tara Rokpa wird dies u.a. berücksichtigt in der freien Kunstarbeit, im Fließenlassen all dessen, wofür wir keine Worte haben oder was aus Zeiten kommt, in denen es keine Worte gab. In Gruppen ist Wasser die schon genannte Kohäsion, das Vertrauen, die Bindung.

Feuer in uns und auf der Erde ist das Wärmende, ist Helligkeit und Licht. Feuer ist die Sonne, das Lagerfeuer, Transformationsprozesse im Großen wie im Kleinen, wo zum Beispiel Nahrung in unserem Körper beim Verdauungsprozess in Energie verwandelt wird. Feuer in der Gemeinschaft ist das lebendige, reibungsvolle, dynamische, spontane spielerische Zusammensein. In Gruppen ist es auch die gemeinsame Motivation und die Freude am Zusammensein.

Luft in uns und auf der Erde ist das Bewegliche, die Intelligenz, der Austausch, der Atem, der Wind von der leichten Brise bis zum Orkan, so wie in uns Gedanken kommen und gehen oder mit uns Karussell fahren. In Gemeinschaft ist es die Kommunikation, das Gespräch, das Lernen und Verstehen. In Gruppen ist es das wechselseitige Interesse, die Toleranz, Leichtigkeit, Beweglichkeit.

Das fünfte Element ist Raum – das Element, dessen wir uns in der westlichen Kultur wenig bewusst sind. Vielleicht erinnern wir uns aber auch an das, was Claudia in ihrem Vortrag zum Raumelement sagte: Der unendliche Weltraum, der uns umgebende Raum, in dem alles geschieht, der alles durchzieht, der Raum in uns, um uns, der Raum unseres Geistes.

Aus dem Buddhismus kommend, ist Tara Rokpa dem Prinzip der Gewaltlosigkeit verpflichtet, Methoden und Zusammensein müssen dem entsprechen. Der zwischenmenschliche Umgang, der in Tara Rokpa gepflegt und geübt wird, ist raumvoll. Er ist diskret, freundlich, kreativ, tolerant, respektvoll, solidarisch. Bei Tara Rokpa wird nicht bedrängt, nicht konfrontiert, nicht schockiert, nicht belehrt, nicht provoziert.

Bilder beispielsweise, die im Gruppenrahmen gemalt werden, werden nicht gedeutet, nicht bewertet. Wenn jemand eine Übung nicht machen möchte, macht er in der Zeit etwas anderes – natürlich ohne die anderen zu stören. Alles ist freiwillig, es gibt Alternativen. Es wird Raum für Entwicklung zur Verfügung gestellt. Dazu gibt es die Übungen, die eine nach der anderen – stufenförmig aufgebaut – im Prozess vermittelt und geübt werden. Macht man die Übungen regelmäßig in diesem Raum, fallen nach und nach die Dinge an ihren Platz, man entspannt mehr und mehr – im Raum.

Für mich ist Raum das Zauberwort. Raum ist weit, Raum ist groß, Raum ist grenzenlos, alles hat in ihm Platz… Immer noch liebe ich das alte Zitat von Akong Rinpoche, welches wir immer wieder gerne in unserer Werbung verwenden:

www.nasa.gov

„Was wir erreichen wollen, ist grenzenloser Raum, dass der Geist weit wird wie der Raum. All die Dinge, die im Geist geschehen, Glück, Unglück, Traurigkeit und Vergnügen, sind wie verschiedene Gebäude im Raum. Gleich wie viele entstehen, es ist immer noch Raum; dieser Weltraum kann nie gefüllt werden. Wenn du dir vorstellst, dass dein Geist wie der Raum ist, dann kannst du all deine Probleme ohne Mühe verdauen.“ Akong Rinpoche

 

Was im Raum geschieht, ist nicht konfliktfrei. Auch in Tara Rokpa Gruppen gibt es Kontroversen. Erinnert man sich aber an das Raumhafte, können sich Enge und Bedrängnis und das, was sich da gerade zusammengeballt hat, lösen. Manchmal braucht das Zeit und Geduld. Hauptsache, man bleibt dabei und, das scheint mir das zweite Zauberwort, man erinnert sich. Erinnert sich an die Übungen und das innere Potenzial, das jeder Mensch hat, das wir nach und nach im Prozess freilegen. Und klar, damit man etwas hat, woran man sich erinnern kann, braucht es Übung. Tara Rokpa ist eine Gemeinschaft von Übenden.

Nicht immer fällt das Üben leicht. Hier hilft wiederum die Gruppe dranzubleiben, unsere Motivation zu erneuern, Phasen von Unlust, Widerstreben und Langeweile zu überstehen.

Darüber hinaus ist die Gruppe aber auch Beispiel und Modell für den Umgang mit anderen. Wenn wir uns im Laufe der Tara Rokpa-Arbeit langsam von unserem Ich zum Du und zur Welt bewegen, dann ist die vertraute kleine Gruppe zunächst ein Objekt für Toleranz und Mitgefühl. Das ist durchaus nicht immer einfach. Es ist aber für viele immer noch leichter, mit anderen Mitgliedern ihrer Tara Rokpa Gruppe Mitgefühl zu haben als mit Familienangehörigen. So dient die Gruppe in einem gewissen Ausmaß als Platzhalter für einen familiären Kontext, wie wir ihn in der Kindheit hatten. Einer Familie ähnelt auch das Prinzip, dass es bei aller Freiheit und Freundschaftlichkeit bestimmte Regeln und Grenzen gibt. Dieser Gruppenkontext hat sich als eine der Stärken von Tara Rokpa erwiesen: Üben in Beziehung. Diese Beziehungen sind offen und flexibel genug auch für Individualisten, bieten jedoch für alle ein weites Netzwerk von unterstützenden Zusammenhängen.                                             (U. Küstner: Wege zu Freiheit und Mitgefühl, S. 57)

 

In Tara Rokpa Zuhause sein

Im Gespräch mit Tara Rokpa Freundinnen sagen sie auf die Frage, was bedeutet die Gemeinschaft für euch? „So sein, wie man ist und lernen, andere zu lassen wie sie sind. Im Rahmen von Tara Rokpa darf alles sein und im Laufe des Prozesses lernt man, darin Vertrauen zu haben. Bei Tara Rokpa herrscht eine Atmosphäre der Anerkenntnis, des liebevollen getragen Werdens, des Vertrauens. In Tara Rokpa fühl ich mich Zuhause.

Petra Niehaus, Edie Irwin, Tuula Styrman, Trish Swift (v.l.)

Wie in einem Zuhause, wie in einer Familie gibt es verschiedene Rollen. Partiell haben Therapeuten Elternrollen (an denen man sich auch mal abarbeitet), Großmütter tauchen auf, jede Menge gute Tanten mit all ihren jeweiligen Qualitäten und viele Geschwister.“ Beide waren vor dem Einstieg in den Prozess auf einem bzw. mehreren Sommercamps, einem Ort, wo wir den Geist der Tara Rokpa Gemeinschaft schnuppern und schmecken können. Ihr Fazit dort war: „Wenn Tara Rokpa das aus Menschen macht, dann will ich das auch!“

 

Zum Aufbau der Tara Rokpa Gemeinschaft – Von Kleingruppen zu Großgruppen, von einer nationalen zu einer internationalen Gmeinschaft

Zunächst machen wir Einführungen – so wie diese hier. Menschen interessieren sich, wir machen eine Liste. Wir bieten einen Kurs in „Heilsamer Entspannung“ an, wo Menschen Tara Rokpa näher kennenlernen können, um sich dann eventuell dafür zu entscheiden: Das gefällt mir, davon will ich mehr. Dann, wenn genügend TeilnehmerInnen beieinander sind, bieten wir einen Kurs „Zurück zu den Anfängen“ an, das erste Modul im Tara Rokpa Prozess, das – explizit therapeutisch – einen Raum bietet, in dem man seine eigene Lebensgeschichte erinnern, aufschreiben, neu gewichten und bewerten kann. Über „Zurück zu den Anfängen“ zu sprechen, würde einen weiteren Abend in Anspruch nehmen, also machen wir das jetzt nicht. Nur so viel: Den Anfang organisieren wir, Heilsame Entspannung, den Beginn von „Zurück zu den Anfängen“. Nach ca. drei Wochenenden geht die Gruppe in Selbstverwaltung über. Sie bestimmt dann über den Zeitpunkt und den Ort ihrer Treffen, organsiert sich selbst und ihre Finanzen. TherapeutInnen werden eingeladen, sie bekommen ein fixes Honorar. Es gibt ein Programm der Wochenenden, das aufeinander aufbaut, an den Inhalten wird nichts geändert, aber eine Gruppe kann durchaus Wünsche anmelden, eine bestimmte Übung beispielsweise noch mal zu wiederholen. Normalerweise macht eine Gruppe drei Wochenenden pro Jahr, manchmal aber auch vier, wenn sie das mag. Auf diesen Wochenenden werden die Übungen für die kommende Phase vorgestellt und geübt. Es wird Kunstarbeit zum Thema gemacht. Es wird – wie immer – entspannt, massiert. Es gibt einfache Körperübungen, Spaziergänge. Die Selbstorganisation ist integraler Bestandteil des Prozesses. Gruppen lernen, sich zu koordinieren, zu kooperieren, etwas was Akong Rinpoche als äußerst wichtig ansah: Die Fähigkeit zur Koordination.

Idealerweise hat man zudem eine Kleingruppe vor Ort, in der man sich zwischendurch mit ein/zwei/drei anderen trifft und zusammen übt, erinnert, schreibt, zusammen dranbleibt.

Nach „Zurück zu den Anfängen“ kommen weitere Phasen im Prozess, deren Titel ich hier nur nenne, denn sie zu beschreiben würde mindestens einen weiteren Abend beanspruchen.

  • Zurück zu den Anfängen
  • Tiger zähmen 1
  • Sechs Lichter
  • Sechs Bereiche (ab hier wird es buddhistischer)
  • Tiger zähmen 2
  • Mitgefühl: Lojong – Geistestraining
  • Chenrezig (Ende des eigentlichen Tara Rokpa-Prozesses)
  • Path of Heroes für die Unentwegten

 

Die POH-Gemeinschaft

Seit inzwischen 12 Jahren gibt es die sogenannte POH-Gruppe, den Path of Heroes, eine Gruppe nach dem Ende des Prozesses für diejenigen, die mit Tara Rokpa weitermachen wollen. Diese Gruppe ist inzwischen sehr stabil und tragfähig geworden. Hier wird der Tara Rokpa Weg von Weisheit und Mitgefühl weitergegangen, geräumig, solidarisch, demokratisch, miteinander.

Dass die Gruppe gut geworden ist und funktioniert, war ein langsam fortschreitender Prozess mit einigen zusätzlichen und anstrengenden Orgatreffen zur Strukturbildung.

Die 85 Menschen, die zu POH gehören, haben an allen Entscheidungsprozessen teil. Was zu organisieren ist, wird von verschiedenen Städten/Gruppen und Individuen geleistet. Und natürlich gibt es immer noch Raum für Verbesserung.

Ist schon ab der Stufe der Sechs Bereiche die Rolle der Therapeuten verändert (Die Senior-Therapeutin Edie Irwin sagt dann gerne zur Begrüßung bei Gruppen, die auf diesem Level angekommen sind: „Now we meet as friends – nun kommen wir als Freunde zusammen“), ist bei POH der Freundschaftscharakter noch deutlicher: Ja, die Therapeuten halten den Rahmen, doch lernen und üben ist ein gemeinsamer Prozess von allen miteinander. Sie werden nun „Anleiter“ genannt.

 

Tara Rokpa ist international

Akong Rinpoche mit Trainees und Trainern 2015

Tara Rokpa ist ohne diesen großen Rahmen nicht zu denken. Am Anfang ein Tibetischer Lehrer, Akong Rinpoche, ihm zur Seite zu Beginn Iren, Briten, Amerikaner – Kreise ziehend…

Es gibt und gab Gruppen in Zimbabwe und Südafrika, in Finnland, in Schottland, England, Irland, Belgien, Frankreich, Schweden. Rege Kontakte gehen hin und her. In digitalen Corona-Zeiten gab es 2020 ein internationales Sommercamp von uns hier organisiert und gerade kürzlich ein finnisches Wintercamp.

Das Therapeuten-Training ist international, TherapeutInnen sind international unterwegs.

 

Übung macht Gemeinschaft

Ich bin seit 30 Jahren dabei. Hurra und Uff, das ist eine lange Zeit, die die Jahre des Prozesses ebenso einschließt wie Kursleiter-Trainings, die Therapeuten-Ausbildung und die Organisation und Büroarbeit. Natürlich macht mich nicht immer nur alles glücklich, doch – so wie Uli es im Zitat formuliert hat –, als Individualistin ein Zuhause gewonnen zu haben, mit Tara Rokpa älter werden zu können, das ist von unschätzbarem Wert.

Was für mich Tara Rokpa als Gemeinschaft so besonders macht, ist, dass wir alle durch denselben Prozess gehen bzw. gegangen sind, in dem wir uns mit unserer Geschichte, die teils auch sehr schmerzlich war, auseinandergesetzt haben. Wir haben uns an anderen GruppenteilnehmerInnen gerieben und natürlich liebe auch ich nicht alle. Aber aufsteigende Gereiztheit, Negativität, Wut entsteht wo? In uns. Wir haben uns mit dem Thema Projektion befasst und befassen uns weiter damit und üben, unsere Sichtweise auf andere von unseren Vorurteilen und Übertragungen zu befreien. Wir haben unsere Kreativität (wieder) entdeckt. Und wir haben geübt, dass wir negative Emotionen verwandeln können. Dazu bietet Tara Rokpa einen reichen Schatz an Übungen. Wir wissen, dass wir alle – alle Menschen – zerstörerische Emotionen haben. Wir verstehen immer mehr, dass wir alle gleich sind – Menschen mit Verblendung und Menschen mit einem unfassbar großen, einem Buddha-Potenzial. Wir werden milder miteinander und milder mit den anderen, mitfühlender, klarer und humorvoller. Und wir üben weiter und weiter und weiter…  gemeinsam weiter.

 

Zum Schluss

Wir kommen zum Ende dieses Vortrags. Vielleicht seid Ihr inspiriert, mehr über Tara Rokpa wissen zu wollen? Herzlich willkommen! Vielleicht habt Ihr aber einfach nur Lust, Eure Lieblingsgruppen einmal auf die Ausgewogenheit der Fünf Elemente hin anzuschauen?

 

Ihren Artikel über „Die Medizin der Gemeinschaft“ beschließt Susie Reinhardt mit einer Gebrauchsanleitung für Gemeinschaftsmedizin:

  1. Wenn Sie sich isoliert fühlen, schließen Sie sich einer Gruppe an. Wenn möglich sogar mehreren. Damit Gruppen als soziale Medizin wirken, muss es sich aber um eine Gemeinschaft handeln, mit der Sie sich identifizieren können. Bei der Suche sollten Sie sich an Ihren Interessen orientieren: Sport, Spiele, der Austausch über Kunst und Kultur oder Natur, spirituelle Arbeit, politisches oder soziales Engagement – es gibt viele Möglichkeiten.
  2. Wenn Sie sich fragen, ob Sie sich noch weiteren Gruppen anschließen sollten, machen Sie eine Bestandsaufnahme: Inwieweit sind meine Bedürfnisse durch die Gemeinschaften, in denen ich schon bin, abgedeckt? Sorgen sie dafür, dass ich mich zugehörig und aufgehoben fühle? Erhalte ich bei Bedarf genügend Unterstützung?
  3. Wenn Sie in einer Krise sind, halten Sie möglichst an den Gruppen fest, in denen Sie integriert sind. Die Crux: Oft erscheinen uns in Zeiten von Krisen und Umbrüchen die regelmäßigen Treffs mit anderen als zusätzliche Last. Doch gerade dann sind die gewohnten Gemeinschaften eine wirksame Medizin. Denn in den Gruppen können wir auftanken, Unterstützung erfahren, unser Leid teilen und weiter am Leben teilhaben.
  4. Nehmen Sie Unterstützung aus der Gruppe an. Helfen Sie auch anderen in der Gruppe, denn Helfen tut gut – vor allem dem Helfer. Erwarten Sie aber nicht, dass die Gruppe Ihre Probleme löst. Holen Sie sich insbesondere bei gesundheitlichen und psychischen Leiden professionelle Hilfe.

 

[Beitragsbild: Cornelia Suhan/Bea Nothnagel, Sommercamp 2018]