Einführung zu den Tara Rokpa-Übungen

4. Abend der Reihe „Tara Rokpa kennenlernen“, 28. Jan. 2021

Heilsame Vorstellungen

Ulrich Küstner

Ich begrüße Sie zum 4. Abend in unserem Winterprogramm 2021. Heute ist wieder ein Übungsabend dran.

Einleitung

In meinem ersten Vortrag in dieser Reihe, vor drei Wochen, hatte ich gesagt, dass Akong Rinpoche, der Begründer von Tara Rokpa, mit seiner Methode Grundbedingungen für eine innere Weiterentwicklung schaffen wollte. Dazu gehört unter anderem eine Gruppe oder eine Gemeinschaft, oder ein sozialer Kontext für diese Entwicklung. Des weiteren eine Reihe von speziellen Übungen, die er selbst für diese Methode entwickelt oder angepasst hat.
Die erste dieser Übungen haben wir in unserem Winterprogramm vor 2 Wochen gemacht, mit Petra Niehaus. Dabei ging es um das Verweilen beim Körper, das Anwesendsein im Körper.
Heute machen wir eine weitere Übung; die erste in der Abfolge, die mit einer inneren Vorstellung arbeitet.

Die Tara Rokpa-Übungen

Akong-Rinpoche: Den Tiger zähmen (U1)Es gibt bei Tara Rokpa ungefähr 20 grundlegende Übungsideen. Einige davon kommen in mehreren Varianten vor, so dass wir insgesamt vielleicht 40 separate Übungen machen, über einen Zeitraum von etlichen Jahren. Jede in der Regel für einige Wochen, und immer wieder frischen wir auch alte wieder auf oder vertiefen sie.

Es sind meditative Übungen, keine körperlichen. Allerdings in unterschiedlichen Körperhaltungen, teils liegend, teils sitzend. Die ersten fünf Übungen bieten wir auch separat als Entspannungskurs an und nennen das dann „Heilsame Entspannung“. Ein anderer Teil der Übungen ist veröffentlicht in Akong Rinpoche Buch „Den Tiger zähmen“.

Woher und wozu?

Diese Übungen haben keine einheitliche Herkunft. Teils sind es Ratschläge aus der mündlichen Tradition, die Akong Rinpoche von seinen Meditationslehrern in Tibet bekam. Teils hat er bekannte Elemente aus dem Vajrayana-Buddhismus vereinfacht oder angepasst. Eine weitere Quelle ist die Tibetische Medizin, speziell in ihrer Form für geistige und seelische Probleme, sems sowa rigpa, die Heilkunde für den Geist.

Heute beginnen wir mit den Drei Lichtern bzw. deren erstem, mit dem Weißen Licht.

Wir modernen Menschen fragen immer als erstes:
Warum soll ich das machen, was bringt mir das?
Das ist auch ganz vernünftig, denn wir haben viel Auswahl und man kann nicht alles machen.

Entspannung

Vor allem machen wir diese Übungen zur Entspannung. Petra Niehaus hat das vor zwei Wochen ausführlicher erläutert, nachzulesen oder nochmal zu hören auf der Webseite zur Vortragsreihe.
Wir verstehen Entspannung nicht nur für den Körper, sondern auch für unser emotionales Erleben und durch Weiten und Öffnen von Perspektiven im Geist.

In diesen ersten Übungen hilft uns zur Entspannung die Idee einer Reinigung, durch das Licht. Das machen wir in ganz wörtlichem Sinne: Wir stellen uns vor, wie Licht uns durchströmt und Schmerzen, Spannungen, negative Emotionen, Ängste und so weiter löst und hinausspült.

Mit sich selbst ins Reine kommen

Den Gedanken der Reinigung gibt es oft in traditionellen Religionen, und wir Modernen reagieren da manchmal zwiespältig. Wir hören gern einen versteckten Vorwurf darin: Ich bin so nicht gut genug wie ich bin, und muss erst sauber werden, reingewaschen werden von meinen Sünden.
Aber das ist immer die Sache, wie man etwas versteht.

Wir könnten auch sagen: Es geht primär darum, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Wir wollen mit uns ins Reine kommen – d.h. ein gutes Grundgefühl im Körper, in unseren Gefühlen, im Geist bekommen. Vielleicht vergleichbar mit dem, was die alten Griechen Eudaimonia nannten; ein guter Geist in uns. Dann geht vieles leichter, auch die Psychotherapie, auch die innere Weiterentwicklung, das ganze Leben.

Wir lassen die Vorstellung zu, dass wir gute Gefühle auch selbst in uns schaffen können, so wie wir auch unsere negativen Gefühle oft selbst erschaffen. Wir geben uns innerlich Raum und Leichtigkeit, wir weiten unsere Perspektiven, und das hinterfragt schon mal die bisherige Gewißheit und Solidität unseres Leidens.

Den Schmerz loslassen

Wir nennen unsere Übungen Entspannungsübungen. Wir hängen es ganz niedrig. Auch deshalb, weil das Wort Meditation bestimmte Vorstellungen auslöst, die kontraproduktiv sein können.

Viele Menschen kommen zur Meditation mit der Idee, sie solle nicht-wertend sein, wir sollten das dualistische Denken loslassen. Und nun kommt Tara Rokpa mit so einer ganz dualistischen Übung mit hellem Licht gegen dunkle Beschwerden. Gut gegen böse, wie in Krieg der Sterne oder Herr der Ringe.

Das machen wir nicht, weil wir eine rückständige Methode sind. Sondern um die Menschen realistischerweise dort abzuholen, wo sie sind. Wer von uns denkt schon nicht-wertend, nicht-dualistisch. Bauchweh oder Kopfweh sind schlecht, Menschen zu verlieren ist schmerzlich. Ein warmes Bad ist schön, freundliche Aufmerksamkeit tut gut. Das ist einfach unser normales Ausgangsempfinden, und dort beginnen wir mit dem Üben.

Wir akzeptieren unser natürliches Erleben von gut und schlecht, leidvoll und glücklich, und lernen zuerst, mehr die Entspannung, die Zufriedenheit und das Wohlfühlen zu erleben. Wenn wir das können, wenn wir uns daran geübt haben, wenn wir für uns ein „Leben in Übungen“ entdeckt haben – dann sind wir reif für nicht-wertende Meditation, oder gar für eine nicht-dualistische Erfahrung.

Heilsame innere Vorstellungen

Eine weitere Idee, die viele Menschen über die Meditation haben ist, dass der Geist dabei zur Ruhe kommen soll, die Gedanken nachlassen, dass er gar irgendwann leer werden soll.
Das ist nicht zwangsläufig so. In der Meditation des tibetischen Buddhismus wird der sich-noch-bewegende Geist geübt. Wir trainieren den Geist, während er sich noch bewegt und aktiv ist.

Wir machen das mit inneren Vorstellungen, stellen uns etwas vor: Imagination, auch Visualisation genannt. Das hört sich für viele künstlich an: Wir erzeugen etwas, wir reden uns etwas ein, stellen uns die Welt schön vor.

Aber bei genauer Betrachtung leben wir Menschen ununterbrochen in Vorstellungen. Im Alltag haben wir ständig Vorstellungen, oft unbewußt. Diese ganz alltägliche Funktion der inneren Vorstellung, die ohnehin stattfindet, können wir nutzen, für unsere Zwecke einsetzen. Statt uns mit negativen Vorstellungen zu belasten, können wir uns mit positiven Vorstellungen stärken und resilienter machen.

Man mag das Beschiss nennen, aber es ist ein nützlicher. Eine höflichere Art dies auszudrücken wäre: ein positive Illusion.

Wenn ich meinen Körper als schmerzlichen Klotz erlebe, und ich mir vorstelle, was in mir gerade alles schiefgeht, dann verspanne ich mich noch mehr, das macht es nur noch schlimmer. Wenn ich mir meinen Körper aber als leicht und von Licht durchströmt vorstelle, dann lasse ich den Selbstheilungskräften freie Bahn, lasse die Selbstregulation durch die Entspannung wieder in die richtige Richtung finden.

Hier schliesst sich der Kreis, wir sind wieder bei der Entspannung angekommen.

Erklärungen zur Übung „Weißes Licht“

Diese drei Lichterübungen wirken auf den ersten Blick vielleicht etwas kompliziert, aber das ändert sich rasch.
Am Anfang machen wir sie als geführte Übung – entweder live angeleitet, so wie heute. Oder mit Audioaufnahmen, die wir zur Verfügung stellen. Da müssen Sie einfach nur der Anleitung folgen. Wenn man die Übung dann kennt, ist es besser, sie auswendig zu machen, weil man dann in der eigenen Geschwindigkeit durch die Teile gehen kann.

Die Übung hat drei Teile.

Teil 1 ist das Ankommen und eine kleine Atemübung.

In Teil 2 bauen wir in unserer Vorstellung ein Bild auf, ein Symbol aus Licht, das für Heilung und Ausgewogenheit steht. Dafür stellen wir uns eine fünffarbige Lichtkugel vor, die vor uns auftaucht, wie so ein kleiner Film. Die fünf Farben in der Lichtkugel, gelb, weiß, rot, grün, und blau, stehen für die Fünf Elemente, Erde, Wasser, Feuer, Luft und Raum. Diese wiederum sind in der Tibetischen Medizin Ausdruck für Ausgewogenheit und Selbstregulation, und dadurch Heilung.

Im 3. Teil lassen wir dieses Licht in einer einzigen Farbe durch uns durchströmen, mit der Idee einer heilsamen Reinigung. Mit uns selbst ins Reine kommen. In unserer Vorstellung spült das helle Licht alles Dunkle und Schmerzliche hinaus, wir werden leichter und klarer.

Wir erwarten dadurch keine sofortige, vollständige Lösung unserer Probleme, aber es kommt etwas in Bewegung. Es ist ein guter Anfang. Wir fangen an zu üben.

Und jetzt folgt die Übung.